“Ich heule”

Er schreibt die witzigsten Drehbücher der Schweiz: Domenico Blass über gute Pointen, Giacobbos Humormafia, Streicheleinheiten und seine neue Sitcom fürs Schweizer Fernsehen.

Facts: Herr Blass, arbeiten Sie immer noch an einer Nachfolge des Films “Ernstfall in Havanna”?

Domenico Blass: Ja, wir schreiben die Krimikomödie “Undercover” derzeit um, weil die erste Version vom Bundesamt für Kultur nicht gefördert worden ist.

Warum? Der Vorgänger war einer der erfolgreichsten Schweizer Filme.

In der Schweiz ist Erfolg kein Garant für Unterstützung, sondern eher hinderlich. Massentaugliche Unterhaltungsfilme haben es hier zu Lande schwer, an Förderungsgelder zu kommen. Dabei sind gerade Filme wie “Achtung, fertig, Charlie” Publikumsrenner. Und werben damit für die gesamte Schweizer Filmbranche.

Ausdruck verfehlter Kulturpolitik?

Ich denke schon. Film ist ein teures Medium. Deshalb halte ich es für die Pflicht von staatlich geförderten Filmschaffenden, auch ein grosses Publikum zu erreichen.

Was halten Sie vom obersten Schweizer Kulturförderer, Bundesrat Pascal Couchepin?

Sagen wir so viel: Wenn er als Vertreter einer wirtschaftsnahen Partei die Filmförderung ein bisschen mehr auch als Wirtschaftsförderung versteht, dann freut mich das sehr.

Trotz des Rückschlags sind Sie einer der erfolgreichsten und produktivsten Drehbuchautoren der Schweiz. Auf SF DRS läuft Ihre Bundesrats-Sitcom “Classe politique”, Sie sind Autor der diesjährigen Weihnachtsshow “Himmel auf Erden – Concours”, die im November Bühnen-Premiere hat, und schreiben noch für deutsche und österreichische Sender. Warum sind Sie so gefragt?

Es läuft im Moment sehr gut. Ich habe neun Jahre hart darauf hingearbeitet – und habe dabei so viel einstecken müssen, dass ich jetzt ein paar Streicheleinheiten verdient habe.

Für SF DRS entwickeln Sie eine Sitcom, die 2005 mit 13 Folgen auf Sendung gehen soll. Worum gehts?

In der Sitcom geht es um Auslandschweizer, die nicht alle freiwillig im Süden sind. Die Handlung spielt in einem Hotel. Die einen sind als Gäste dort, die anderen als Angestellte. Natürlich kommt es zu Konflikten – untereinander und mit der lokalen Mentalität. Die Idee ist, am Beispiel von Auslandschweizern schweizerische Charakterzüge aufzuzeigen.

Welche denn? Das Bünzlitum?

Nicht nur, aber auch. Das ist ein dankbares Sujet mit viel Konfliktstoff.

Das klingt nach vielen Klischees.

Damit habe ich keine Mühe. Klischees sind Klischees, weil sie so oft tatsächlich passiert sind. Also hat es sehr viel Wahrheit drin, und genau das ist Humor letztlich: überspitzte Wahrheit.

Gibt es eigentlich einen typisch schweizerischen Humor?

Ich kann keinen ausmachen, wohl weil ich zu nahe dran bin.

Woher wollen Sie dann wissen, worüber Herr und Frau Schweizer lachen?

Ich gehe immer von dem aus, was mir gefällt, worüber ich lachen muss. Humor funktioniert nur über einen gemeinsamen Nenner. Man kann keine Witze über etwas machen, das der Zuschauer nicht kennt. Kein Deutscher lacht über einen Blocher-Witz. Insofern ist mein Humor typisch schweizerisch, weil er auf ein spezifisch helvetisches Grundwissen aufbaut.

Sie schreiben auch für deutsche und österreichische Sender. Gehen Sie dort anders ans Werk?

Satire mache ich nur in der Schweiz. Hier kenne ich die Verhältnisse gut. Darum fällt es mir leicht, gesellschaftliche oder politische Verhältnisse zu karikieren, wie etwa in der Sendung “Classe politique”. Im Ausland schreibe ich nur Sitcoms. Darin geht es um Verhaltensweisen, um Menschliches. Das funktioniert praktisch überall in unserem Kulturkreis gleich. Ich schreibe die Handlungsstränge und erfinde die Figuren, die Dialoge überlasse ich lokalen Autoren.

Gibt es todsichere Lachknüller?

Situationen, in denen der Zuschauer sich selbst oder einen bekannten Menschen wiedererkennt, kommen in der Regel sehr gut an. Aber den sicheren Lacher gibt es nicht, leider.

Sie arbeiten nicht nur für Viktor Giacobbo, Sie sind auch mit ihm befreundet – und somit Teil der Schweizer Humormafia.

Über solche Vorwürfe regt sich Viktor immer wieder auf. Sie sind unfair. Es ist doch nur logisch, dass man sich für ein Projekt mit Leuten umgibt, von denen man weiss, dass sie nicht nur gut sind, sondern dass man auch gut mit ihnen zusammenarbeitet. Humormafia klingt nach geschlossener Gesellschaft, was es aber definitiv nicht ist. Die Szene ist offen für Newcomer, zum Beispiel für mich.

Wieso waren denn in den letzten Jahren trotzdem immer dieselben Namen vorne mit dabei?

Wenn Viktor Giacobbos Name in einer Produktion auftaucht, steht er automatisch im Fokus. Er ist eine Lokomotive, die ganz viele Leute zieht. Er steht mit seinem Namen hin und hilft so, dass es läuft und ganz viele Leute ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die gigantische Medienpräsenz von “Ernstfall in Havanna” war klar ihm zu verdanken. Niemand sprach von der Regisseurin Sabine Boos, die hervorragende Arbeit geleistet hat, oder von mir.

Gibt es Tabuthemen, über die Schweizer garantiert nicht lachen?

Religion. Witze über den Papst oder die Pfarrer verärgern und verletzen sehr, sehr viele Leute. Politiker hingegen kann man durch den Kakao ziehen, wie man will, das finden alle glatt.

Sind Sie schon mal so richtig ins Fettnäpfchen getappt?

Privat ständig, beruflich vor allem früher, als Journalist des Zürcher Szeneheftes “Bonus”. Der damalige Stadtrat fand unseren Comic “WG Hardbrugg” nicht so lustig.

Dank diesem kannte aber die gesamte Zürcher Bevölkerung plötzlich die eigene Regierung.

So kann man mit Humor die Leute animieren, über etwas nachzudenken, das sie sonst nicht interessieren würde. Politik halten viele für langweilig. Wenn aber die Stadträte plötzlich fiktive Charaktere werden und Polizeivorstand Robert Neukomm in Lederkluft à la Hells Angels für Ordnung sorgt, wird es interessant.

Wo inspirieren Sie sich?

Ich schaue oft Sitcoms auf ausländischen Kanälen – vor allem englischsprachige wie “Cheers”, “Friends”, “Coupling” oder “The Office”. Und ich übe den Ernstfall, in dem ich meine eigenen Sachen als normaler Zuschauer besuche. Bei “Ernstfall in Havanna” sass ich ein paarmal im Kino, um zu sehen, wo das Publikum lacht.

Das ist mutig.

Es ist etwas vom Schönsten überhaupt. Mich erkennt ja niemand, und es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn die Leute bei Witzen lachen, die ich geschrieben habe. Ich heule in solchen Situationen, dermassen ergreift mich das. Zum Glück ist es dunkel. Für solche Momente lohnt sich der ganze Chrampf.

Heulen Sie auch, wenn niemand lacht?

Damit muss man leben. Das Problem bei einer Pointe ist, dass man im Voraus effektiv nie weiss, ob sie ankommt.

Sind Sie schon lustig auf die Welt gekommen, oder mussten Sie das lernen?

Es ist ein Handwerk. Und ich habe sehr viel geübt. Mein Vater ist Mittelschullehrer und ein Scherzkeks. Bei uns zu Hause ging es oft darum, wer bringt wen zum Lachen? Wir durften frech sein, so lange es lustig war. Ich wollte immer lustig sein, bin aber oft damit auf die Nase gefallen. Heute denke ich: Humor ist eine Überlebensstrategie, er nimmt oft heiklen Situationen die Schärfe. Aber Menschen, die penetrant nur lustig sein wollen in jeder Situation, gehen mir furchtbar auf die Nerven.

Interview: Ruth Brüderlin

Domenico Blass

Der 38-jährige ehemalige Werbetexter und Journalist ist einer der erfolgreichsten Schweizer Drehbuchschreiber. Auf sein Konto geht die Politkomödie “Ernstfall in Havanna” (als Koautor von Viktor Giacobbo), die TV-Filme “Spuren im Eis” und “Feuer und Flamme” sowie Episoden der Sitcom “Fertig lustig” und die Zürcher Weihnachtsshow “Himmel auf Erden”. Domenico Blass ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Zürich.

7. Oktober 2004

Ganzer Artikel als PDF: „Facts“ (2004)